Usbekistan – Zauber der Seidenstraße
Liebe Oma,
die Kasachen machen es uns nicht einfach, ins Land einzureisen. Mit dick gefütterten Militärklamotten kommen sie an Bord der Fähre, Spürhunde im Schlepptau. Wir müssen uns in einer Reihe aufstellen, das Gepäck komplett auspacken und einmal alles durchsuchen und beschnuppern lassen. Die anderen Radreisenden und ich werfen uns vielsagende Blicke zu. Es ist ziemlich offensichtlich, dass man bei den momentanen Temperaturen keine Winterklamotten braucht, sondern sie eher dazu dienen, bei der Show hier gerade ungefähr zwei Schultern breiter auszusehen. Nachdem ich ca. 10 mal den Pass bei unterschiedlichsten Stellen und Wachposten vorgezeigt habe, rolle ich endlich durch das letzte Tor des Grenzbereichs. Ein ganz schöner Aufwand für ein Land, das ich am nächsten Tag schon wieder verlassen werde. Der Umweg bringt 2000 km mehr Strecke auf den Plan, mein Vater landet jedoch schon in ein paar Tagen in Taschkent und ich möchte unbedingt noch die zauberhaften Bauwerke von Bukhara und Samarkand sehen, bevor ich ihn abhole. Also hieve ich mein Bike mitsamt mir auf die Ladefläche eines Wurstlasters, der am Straßenrand außerhalb von der Hafenstadt Aktau hält. Auf Säcken feinster kasachischer Wurst sitzend, fahre ich durch die Steppe des Landes, sehe aber statt das in zahlreichen Schattierungen auftretende Grün, wie mir diese Landschaft immer beschrieben wurde, nun eher das Blau der LKW-Plane. Dann wird angehalten, ich springe aus dem Laster und stehe vor einer älteren Dame, die uns Kamelmilch an einem Straßenstand verkauft, die ich dann auch gleich kosten soll. In Beyney bleiben sie die Nacht, und ich darf im Laster bei den Würsten schlafen. Um 6 Uhr morgens will ich weiter. Doch entweder haben mich die Wursthändler vergessen, oder sie schlafen zu bequem in ihren Hotelbetten. Jedenfalls wird es neun, bis sich der Laster von außen öffnet. Die Wursthändler fahren von hier aus weiter nach Norden, und ich biege mit zwei riesigen kasachischen Würsten in der Fahrradtasche Richtung usbekische Grenze ab. Die Straße ist katastrophal. Ein Laster mit zwei Usbeken nimmt mich nach einigen Kilometern mit, kann aber bei dem Straßenzustand auch nur ca. 5km/h schneller fahren als ich selbst auf meinem Fatbike. Mir wird der Beifahrersitz angeboten, der zweite Fahrer setzt sich aufs Bett, und wir verständigen uns mit Händen und Füßen so gut es geht. Dann hält uns eine Polizeistreife an. Der zweite Fahrer zieht den Vorhang zu und versteckt sich im Bett, der Fahrer selbst holt die Papiere raus, steckt ein paar Geldscheine dazu, und reicht alles aus dem Fenster. Sogleich sind die Papiere in Ordnung, und der Laster muss auch nicht durchsucht werden, der Polizist reicht die Papiere ohne Geld zufrieden wieder ins Führerhaus. Ich habe viel von der korrupten Polizei Kasachstans gehört, ihr Ruf eilt ihr voraus. Bisher bin ich auf dem Trip aus allen Situationen ohne zu bestechen gut rausgekommen, aber ob das so bleiben wird, bis ich in Peking ankomme, weiß ich nicht. Ich werde an der Grenze rausgelassen. Die Ausreise aus Kasachstan ist deutlich einfacher als die Einreise, und schon bald radle ich durch die karge Steppe in Richtung Zentrum des Landes. LKWs können mich nicht mehr mitnehmen, sie werden alle an der Grenze verplombt, und müssen so die zahlreichen Polizeicheckpoints des gut überwachten Landes passieren. Gerade als ich einen Zeltplatz suche, da es dunkel wird, kommt ein Bus die einsame Straße entlang und ich kann nach Nukus mitfahren. Von dort geht es mit dem Sammeltaxi durch die Kysylkum-Wüste nach Bukhara, ein schönes verschlafenes Städtchen, mit einigen der atemberaubendsten Bauwerken entlang der Seidenstraße. Überall, wo ich zum Fotografieren auftauche, läuft aber mein Bambusfatbike als Hauptattraktion den antiken Gebäuden recht schnell den Rang ab. Immer wieder möchten Einheimische mein Bike ausprobieren, und bestimmt die Hälfte von ihnen unterschätzt die starke Bremskraft meiner Bremsen und landet mitsamt Fahrrad auf dem glatten Boden der Plätze vor den Monumenten. Bevor ich ganz Bukhara zu Invaliden mache, möchte ich weiter nach Samarkand. Nach knapp zwei Stunden des Trampens gebe ich aber auf. Da quasi jedes Fahrzeug in Usbekistan als Taxi fungiert, ist Trampen weder üblich, noch einfach. Für mein Fahrrad möchten die Fahrer horrende Summen und so fahre ich lieber am nächsten Morgen mit dem Bus. Samarkand hat noch zahlreichere und prächtigere Bauwerke zu bieten als Bukhara und ist wahrscheinlich die bekannteste Stadt an der Seidenstraße. Das lockt aber auch Massen von Touristen an. Ausländer, aber noch viel mehr einheimische Reisende drängen sich in Massen durch die Stadt, die mit Korridoren und Absperrungen versucht, die Massen ein wenig in gelenkte Bahnen zu bringen. Nach der Hauptattraktion, dem Regestan, habe ich schon genug, und beschließe, mir die bestimmt 20 weiteren Sehenswürdigkeiten der Stadt nicht auch noch antun zu müssen. So prunkvoll die Bauten auch sein mögen, mir fehlt in Samarkand definitiv der Charme und entspannte Flair von Bukhara, das ähnliche Gebäude aufweisen konnte, und so reicht mir ein Tag hier zu Genüge.
Ich nehme den Zug nach Taschkent und komme so noch rechtzeitig am Flughafen an, um meinen Vater abzuholen. Er möchte mich ein paar Wochen durch Usbekistan und Kirgistan mit seinem E-Bike begleiten. Die Akkus nach Usbekistan zu bringen, war definitiv eine Herausforderung. Sie jetzt hier aus dem Zoll zu holen, ist die nächste. Wir bleiben gezwungenermaßen einige Tage in Taschkent und Willi, der Onkel meiner Schwägerin, der hier wohnt, kümmert sich um uns in Sachen feinster zentralasiatischer Gastfreundschaft. Ich nutze die Zeit und versuche ein zweites Mal mein China Visum zu beantragen, was aber leider nach dem gescheiterten Versuch in Teheran nun auch hier in Taschkent nichts wird. So muss ich wohl doch den Pass nach Hause schicken, um das Visum auf regulärem Weg in Deutschland zu beantragen.
Willi schafft es nach tagelangem Aufwand, die Akkus aus dem Zoll zu holen und wir haben die letzte Woche über in Taschkent so viele russische und usbekische Gerichte gegessen, dass wir nun definitiv dafür gewappnet sind, loszuradeln in Richtung Kirgistan. Unser Weg führt zuerst über die Berge, dann hinab ins Fergana Tal. Sobald es bergauf oder gegen den Wind geht, fährt mir mein Vater mit seinem E-Bike sofort davon, da er gar nicht wirklich spürt, dass es nun schwerer geht. Wir beschließen, dass er hinter mir fährt, auch wenn ich so seinen Windschatten leider nicht nutzen kann. So aber funktioniert die Kombination E-Bike und Bambus-Fatbike ganz gut. Am Abend bin ich dann total geschafft. Mein Vater jedoch auch, denn er nutzt die Unterstützung nur dann, wenn es wirklich nötig ist. So können wir Akku sparen, denn die Akkukapazität ist ein Problem. Aber mein Vater scheint bei seinen Trainingseinheiten für die Tour auch einen ganz schönen Ehrgeiz beim Radeln entwickelt zu haben. So ist es ihm wichtiger als mir, so viel wie möglich mit dem Fahrrad und aus eigener Kraft zu fahren und somit werden die Zahlen auf dem Tacho auf einmal interessant. Bisher hatte die Statistik bei mir keinen hohen Stellenwert, sie wirkt bei mir eher genau andersherum als bei vielen Reiseradlern. Wenn ich 100km an einem Tag mache, zeigt mir das eher, dass es nichts Spannendes zum Anschauen und Fotografieren und keine interessanten Begegnungen gab. Deshalb beeindrucken mich die Zahlen auf dem Tacho nicht wirklich. Ehrlich gesagt bin ich die ganze Strecke in Europa ohne Tacho gefahren. Erst für Asien habe ich mir einen zugelegt. Hier wurde er wichtig, um überprüfen zu können, wie weit ich auf den unterschiedlichen Untergründen komme pro Stunde, um meinen Zeit- und Wasserbedarf in der Steppe und Wüste abschätzen zu können. Nun aber vergleichen wir regelmäßig unsere Tachoangaben und ich checke auf dem GPS, wie weit es noch ist bis zum Etappenziel des Tages. Eine schwierige Aufgabe, wenn man wie ich eigentlich gar keine Etappenziele hat, sondern einfach, wenn es langsam dunkel wird, sein Zelt aufschlägt, an einem Platz, der einem schön oder praktisch dafür erscheint.
Ein simples Kilometersammeln wird die Tour dadurch aber nicht, das verhindert die offene Art der Usbeken effektiv. Laufend halten die Autos vor uns an, man schenkt uns Essen, will ein Foto und sich kurz unterhalten. Mein Vater scheint die Kommunikation ohne gemeinsame Sprache sehr gut zu beherrschen, und so überlasse ich ab und zu auch einfach ihm das Verständigen und konzentriere mich mehr darauf, die Szenen festzuhalten. Ich mag die Art der Usbeken. Sie sind nicht zu sehr aufdringlich, aber prinzipiell sehr interessiert. Die erste Nacht kommen wir bei einem Bauer und die zweite bei einem Wachmann eines Stromwerks bei einem Stausee unter. Wir dürfen nur in Richtung des Sees fotografieren, niemand soll wissen, dass wir da waren, denn auch wenn sich mit dem neuen Präsidenten in Usbekistan einiges gebessert hat, ist das Land immer noch streng überwacht. Auch wenn viele Einheimische sehr gerne das Risiko eingehen, ist Ausländer zu Hause aufzunehmen eigentlich strengstens verboten und wir müssen spätestens alle drei Tage eine Registrierung vorweisen, die unser Hotel vornimmt, sonst kann es bei der Ausreise Probleme geben. Nun finden wir jedoch erst am vierten Tag ein Hotel. Nach ein paar Telefonaten des Rezeptionisten scheint das dann aber doch in Ordnung zu sein. Die Richtlinien zur Registrierung werden wohl mittlerweile zum Glück nicht mehr so streng genommen. Dafür ist aber die Lage an der Grenze immer noch schwierig. Hier gibt es ab und zu noch bewaffnete Konflikte mit dem Nachbarland, und so wurde kurzerhand der kleinere Grenzübergang, den wir am nächsten Tag nach Kirgistan nehmen wollten, vor ein paare Wochen für Ausländer geschlossen. Wir müssen auf den größeren Grenzübergang bei Osch ausweichen, was wir aber mit dem Fahrrad nicht mehr rechtzeitig schaffen würden, da mein Visum am Tag darauf ausläuft. Und so verladen wir unsere Fahrräder am nächsten Tag in einen Minibus, denn das Überschreiten der Visumszeit wird im Gegensatz zu der Registrierung angeblich noch mit hohen Strafen geahndet. Kirgistan, wir kommen. Hier in den Bergen des Tien Shan darf das E-Bike nun zeigen, was in ihm steckt.
Liebe Grüße aus Kirgistan!
Dein Thomas