Ab in die Sowjetuninion – Dawai, dawai!
Liebe Oma,
eigentlich soll es im Großen und Ganzen immer Richtung Osten gehen. Ich will mit jedem Kilometer spüren, wie die Kultur orientalischer wird, bis ich irgendwo bei einer kleinen Straßenküche am Tiananmen Platz mit Chinesen lautstark eine Nudelsuppe schlürfe. Das grandiose iranische Essen, die prachtvolle Moscheen und Mausoleen und vor allem die Gastfreundschaft des Landes hat die Türkei fast nochmal übertroffen, und ich bin länger geblieben, als ich eigentlich geplant hatte.
Nun aber geht der Weg weiter durch Turkmenistan nach Usbekistan. Ein Touristenvisum für das Land zu bekommen, ist für Individualreisende nahezu unmöglich, also versuche ich es gleich mit einem Transitvisum. Ich habe im gleichen Reisepass schon mein Usbekistanvisum beantragt, dass sie sich in Turkmenistan sicher sein können, dass ich auch wirklich wieder ausreise, und habe auch alle anderen Vorgaben penibel beachtet. Als ich eine Weile nichts von meinem Visum höre, rufe ich beim turkmenischen Konsulat in Deutschland an und erfahre da, dass mein Antrag es noch nicht einmal zum Amt für Migration geschafft hat. Irgendwas würde fehlen, sie können das Visum so nicht beim zuständigen Amt beantragen und schicken deshalb den Pass zurück. Da ich nicht einmal automatisch Nachricht dazu bekommen habe, dass etwas fehlen würde, wird mir klar, dass ich da ziemlich hinterher sein muss, wenn ich das Visum haben möchte. Also reicht meine Frau die Unterlagen erneut ein und ich melde mich telefonisch alle paar Tage aus dem Iran beim Konsulat. So kann ich immerhin erreichen, dass mein Antrag dann doch noch bei der zuständigen Stelle in Turkmenistan landet. Nun frage ich dann sogar täglich bis mehrmals täglich beim Konsulat an, wie es aussieht. Aber selbst einen Tag vor dem angegebenen Datum meiner Einreise nach Turkmenistan hat das Amt für Migration sich leider noch nicht entscheiden können, ob sie mich reinlassen möchten oder nicht. Weder Absage noch Zusage. Es wird mir zu knapp und so gebe ich die Hoffnung auf und beschließe, nun den Umweg über Aserbaidschan zu nehmen und von dort die Fähre über das Kaspische Meer nach Kasachstan, eine der nördlichsten Routen der alten Seidenstraße. Als ich bei Astara die Grenze überquere, habe ich schlagartig das Gefühl, wieder in Richtung Heimat zu fahren. Alles scheint mir viel vertrauter als in der Türkei und dem Iran, die Architektur, die Vegetation, die Menschen, einfach alles. Aserbaidschan stand nicht wirklich auf der Liste, und so hatte ich eigentlich nicht wirklich groß was erwartet. Um ganz ehrlich zu sein, stand es eigentlich sogar genau deshalb nicht auf der Liste, weil ich mir nicht sonderlich viel von dem Land erwartet habe. Jetzt, wo ich gezwungenermaßen hier bin, zieht mich das Land gleich von Anfang an in seinen Bann. Nicht nur die Freundlichkeit und Offenheit der Menschen sondern auch der Sovietcharme ist überwältigend. Überall rattern alte Ladas durch die Straßen, halb ausgediente Zugwagons rosten auf Abstellgleisen vor sich hin und nostalgisch anmutende Telefonleitungen verbinden die kleinen russischen Häuschen miteinander. Ich werde gleich schon in eins eingeladen, ich solle doch zum Essen und für die Nacht bleiben. Eigentlich schlage ich solche Einladungen nicht ab. Da es erst Mittag ist, möchte ich aber noch ein wenig durch das Land fahren, bevor ich Richtung Baku trampen werde, denn leider bleibt mir nicht viel Zeit, bis ich auf die Fähre muss. So verabschiede ich mich ohne die Einladung anzunehmen. Ich soll doch aber mit meiner Frau zurückkommen und hier eine Woche Urlaub machen, sagt der Herr noch bevor ich gehe. Nur die kaum befahrene Straße und eine Bahnlinie trennt das Haus vom Kaspischen Meer – ein verlockendes Angebot. Entlang dieser Bahnlinie fahre ich nun Richtung Norden, durch kleine Dörfer und vorbei an Fischern, die ihre Netze vorbereiten und Schäfern, die ihre Tiere hüten. Dann stelle ich mich an die Hauptstraße und trampe Richtung Baku. Ein iranischer LKW-Fahrer kam auch heute über die Grenze und nimmt mich mit. Die Straße ist katastrophal und so kommen wir erst nachts um 2 Uhr an der Ausfahrt nach Baku an. Ich beschließe, die knapp 20km in die Stadt noch bei Nacht zu fahren, denn man muss jeden Morgen schauen, ob evtl. die Fähre fährt, da es keinen festen Fahrplan gibt. Vielmehr fährt sie einfach dann, wenn sie da ist und das Wetter passt, und dann sollte ich nach Möglichkeit auch da sein. Ich fahre entlang der Promenade durch wunderschön hergerichtete Parks in die Stadt und bestaune Bakus Skyline bei Nacht. Leider geht an diesem Tag keine Fähre und so mache ich mich auf, mit Dennis, einem holländischen Fahrradreisenden, der auch ein Ticket kaufen wollte, die enorm moderne Hauptstadt Aserbaidschans zu erkunden. Dann treffe ich Jabrayil, der mich eigentlich gerne bei sich als Gast aufnehmen würde. Da dies aber momentan nicht möglich ist, will er mir stattdessen eine Nacht im Hostel buchen. Eine witzige Einladung, die ich erstmal abschlage, aber er besteht so sehr darauf und so lasse ich mich von ihm einquartieren und wir machen gemeinsam die Stadt unsicher, von typischem Essen bis hin zu den Flame Towers am Abend. Am Tag darauf ist es dann soweit. Eine Fähre fährt ab Richtung Kasachstan. Dennis und ich begeben uns zum Hafen, wo neben etlichen LKWs schon zwei Motorradfahrer aus England und der über 70-jährige Hans aus Deutschland mit seinem Reise-VW-Bus auf die Fähre warten; später kommt noch ein mexikanisch-belgisches Bikepärchen dazu. Nach stundenlangem Warten kommt dann die Fähre und nach weiteren 2 Stunden dürfen wir Fahrradfahrer kurz vor Mitternacht als erstes an Bord der Mercuri I gehen. Wir beziehen die Kojen und als wir am nächsten Morgen aufwachen, liegen wir immer noch im Hafen. Hans kam erst um 4 Uhr nachts auf die Fähre, da bin ich froh angenehm in meiner Koje verbracht zu haben. Fast zwei Tage dauert die gesamte Überfahrt und ich genieße es, einmal andere Reisende um mich herum zu haben und Stories austauschen zu können.
Während wir Richtung Kasachstan tuckern, fahren wir noch einige Zeit an der Küste Aserbaidschans entlang. Wie schnell es doch geht, dass wir uns ein von Medien geprägtes Bild über ein Land aufbauen, das uns dann unbewusst beeinflusst. Umso mehr freue mich jedes Mal, wenn ich mich dabei ertappe, denn das bedeutet, dass die aufgebauten Vorurteile gerade bröckeln. Aserbaidschan, ich komme wieder, und dann mit mehr Zeit. Auf jeden Fall mindestens eine Woche, denn den Urlaub in dem kleinen Häuschen direkt am Kaspischen Meer lass ich mir definitiv nicht entgehen…;-)
Liebe Grüße aus Kasachstan
Dein Thomas