Weiter durch den Balkan
Liebe Oma,
jetzt hast Du lange keinen Brief mehr bekommen. Das liegt aber vor allem daran, dass ich die letzten Monate zwei Mal die Möglichkeit hatte, zu Hause auf Deinem Sofa zu sitzen und dir meine Geschichten live zu erzählen. Dass ich im Dezember heim komme, hatte ich geplant. Ich wäre ja schön blöd gewesen, wenn ich mir mein Weihnachtsgeschenk von Dir hätte entgehen lassen…;-) Das zweite Mal im Februar war dann aber so nicht geplant. Die letzten Wochen vor Weihnachten waren enorm spannend. Sarajevo war die richtige Stadt, um mein Knie auszukurieren. Die Stadt pulsiert vor Leben, ist aber trotzdem nicht zu hektisch, die Menschen sind sehr freundlich und entspannt und von Jahrhunderte alten Häusern aus Zeiten des Osmanischen Reiches, über nostalgische Plattenbauten mit Sovietflairim Stadtviertel Ciglane aus der Zeit vor dem eisernen Vorhang bis zu einer Altstadt mit Einkaufsstraße mit sowohl Basar als auch einem westlichen Teil, hat sich Sarajevo schnell einen Platz ganz oben auf meiner Liste der Top-Städte Europas erobert. Ich treffe mich mit der koreanischen Filmemacherin Eunjeong und gabel in meinem Hostel noch Ruben, einen Musiker aus Spanien, auf, der mit Gitarre und Fahrrad gerade von Griechenland nach Hause fährt. Zusammen machen wir die Stadt unsicher, er mit seiner Gitarre, ich mit meiner Kamera und Eunjeong filmt. Morgens und abends mache ich konsequentes Stretching im Hostel, um mein Knie wieder fit zu bekommen. Ich bin bei Cat im Dorctor’s House Hostel untergekommen. Cat ist Amerikanerin mit bosnischem Ehemann und hat ein Hostel im alten osmanischen Viertel der Stadt eröffnet. Sie bietet durchreisenden Radlern eine kostenlose Nacht im Hostel an, inklusive einmal Wäsche waschen. Das Angebot mit der kostenlosen Wäsche für Radler sei unbedingt nötig, um sie überhaupt guten Gewissens zusammen mit anderen Hostelgästen in ein Mehrbettzimmer stecken zu können, sagt sie grinsend mit dem Wäschekorb in der Hand. Ich tanke ein paar Tage auf. Das Ende der Reise ist für mich keine Option. Notfalls trampe ich mehr und trete weniger. Nach 5 Tagen traue ich mich dann wieder aufs Rad. Es geht direkt in die Berge, die Feuerprobe für mein Knie, das ich selbst im Ruhezustand immer noch spüre. Doch das Stretching hat sich ausbezahlt, denn die starken Schmerzen, wie in der Woche davor, bleiben aus. Ich beschließe, den spannenderen Weg über die Hochebene Romanija zu nehmen statt im Tal zu bleiben. Schon bald radle ich bei strahlendem Sonnenschein durch wunderschöne Landschaft, die ans Allgäu zu Hause erinnert, mit kleinen Bauernhöfen, während ich auf eine Wolkendecke im Tal hinabschaue. Es geht weiter nach Serbien und auch da möchte ich in die Berge, aber wieder macht mir der Schnee einen Strich durch die Rechnung. Im Tal dafür ist es trist und nasskalt. An einem steilen Abschnitt kommt ein Lieferwagen vorbei. Ich winke und sie halten. Ein junges Ehepaar, das in Bosnien Familie besucht hat. Wir verladen mich und das Fahrrad in den fensterlosen Laderaum des Lieferwagens. Nach ein paar Kilometern halten sie nochmal und holen mich nach vorne. Ich müsse unbedingt die schöne Landschaft sehen. Wir teilen uns zu dritt zwei Sitze, schaffen es irgendwie, dass man dabei auch noch den Schalthebel betätigen kann und rauschen durch grandiose Landschaft, ohne dabei nass zu werden. Die zwei sind echt witzig drauf und wir haben einen riesen Spaß. Das Trampen hat sich wieder mal gelohnt, wie eigentlich jedes Mal.
Ich lerne Dragan kennen. Ich glaube ja, dass Reisen der größte Feind von Vorurteilen ist, aber als wir gleich am ersten Abend in Jogginghose und knallengem Shirt in der Muckibude abhängen und pumpen, erschleicht mich das Gefühl, dass ich mir den Durchschnittsserbe genauso vorgestellt hatte. Am nächsten Tag erwandern wir den höchsten Berg der Umgebung. Wenn ich schon nicht mit dem Bike in die Berge hoch komme, dann wenigstens zu Fuß. Kurz vor dem Gipfel treffen wir neugierige Wildpferde, die kaum Angst vor uns haben. Das eine ist sogar so neugierig, dass es die ganze Zeit an meiner Jacke und meinem Rucksack rumknabbert. Oben am Gipfel angekommen gibt es ein spezielles serbisches Vesper, das Dragan am Morgen gebacken hat. Leider brauchen wir dazu unsere Finger, und der Wind ist so kalt, dass sich der Spass beim Essen in Grenzen hält. Ich versuche meinen Magen zu füllen, bevor meine Finger abfrieren. Gestärkt joggen wir im Wettlauf gegen den Sonnenuntergang ins Tal hinab. Wir verlieren, aber haben zum Glück Stirnlampen dabei.
Es geht nach Sofia, wo ich bei Sofia Bike Rental unterkomme. Der Fahrradverleih im Herzen Sofias hat eine Couch im Keller um Reiseradler aufzunehmen. Im Winter hat der Fahrradverleih geschlossen, und so drückt man mir die Schlüssel in die Hand, ich solle einfach den Laden abschließen wenn ich in die Stadt gehe. Zusätzlich zu den 30 Fahrrädern lassen sie mir auch noch den Firmenlaptop da, damit ich ins Internet kann. Ich denke kurz darüber nach, ob sowas auch in Deutschland vorkommen könnte, verwerfe dann aber den wahnwitzigen Gedanken sofort wieder. Wärme kommt von einer Fernwärmeleitung des Nachbarhauses, das durch den Keller des Ladens verläuft und von den Jungs kurzerhand seiner Isolation entledigt und Schwarz angestrichen wurde. Nun strahlt es auf Kosten des Nachbarn wohlige Wärme ab, die ich bei dem Wetter gut gebrauchen kann. Wir bauen noch mein Fahrrad auseinander, wozu die Jungs einen Straßenpfosten zum Fahrradständer umfunktioniert haben, dann steige ich in den Flieger nach Deutschland, wo erstmal Weihnachten gefeiert wird, dann mache ich mich mit BAM-Original und weiteren Sponsoren für Fahrradteile daran ein Bambus-Fatbike zu bauen. Ein schwieriges Unterfangen, vor allem wenn man so wenig über Fahrräder weiß wie ich. Trotzdem sitze ich dann im Februar in der Türkei auf meinem selbstgebauten Fatbike aus Bambus. Meine Schwester und mein Cousin begleiten mich und wir schlagen uns auf kleinen Trails durch die atemberaubende Erosionslandschaft Kappadokiens. Immer wieder jedoch stellt sich beim Bremsen mein Hinterrad quer und blockiert. Außerdem wird mehrmals die Kette vom Kettenblatt gerissen. Grund dafür sind die Ausfallenden, die sich verbogen haben. Sie scheinen den Kräften am Fatbike nicht standzuhalten. Nach mehrmaliger Rücksprache mit Hannes von BAM-Original, beschließen wir, dass es das Beste ist, wenn ich nach Deutschland zurück fliege und Hannes andere Ausfallenden einbaut. Während des Bikebaus hatte ich im Januar geheiratet und so freuen wir frisch Vermählten uns nochmal 3 Wochen mehr miteinander zu haben, bevor ich mich dann wieder nach Osten aufmache.
Liebe Grüße, dein Thomas
Einen ausführlichen Bericht zum Bikebau gibt’s hier bei FAT-Bike.de!